02.06.2017

50 Werkzeuge, die Neubau überflüssig machen

Rückblick auf Veranstaltung "Wege zur Vermeidung von Flächenverbrauch" - Zusammenfassung der Vorträge

In Deutschland beträgt der Flächenverbrauch durch Städte- und Straßenbau mehr als 70 Hektar pro Tag. Dies entspricht der Fläche von über 100 Fußballfeldern.  Da ein Hektar Wald pro Jahr ca. 13 Tonnen CO2 speichert, geht durch den Flächenverbrauch jährlich eine CO2-Speicherkapazität von über 300.000 to  verloren.

Darüber hinaus werden durch Neubauten auch mehr Ressourcen und Energie eingesetzt als bei Altbausanierungen, was sich auch in höheren CO2-Emissionen niederschlägt.

Die Alternative zu Neubausiedlungen sind lebendige Innenstädte und Dorfzentren, die man durch Sanierung von Altbauten erreichen könnte. In der Praxis ergeben sich hierbei jedoch vielfältige Hemmnisse. Wege zu deren Überwindung zeigte eine Infoveranstaltung des Klimaschutzmanagements auf, zu der sich am 12.5.2017 rund 50 Teilnehmer im Landratsamt Bayreuth einfanden, darunter die stellvertretende Landrätin Christa Reinert-Heinz, Bürgermeister, Kreisräte, Architekten, Planer und Vertreter von Fachbehörden.  Die Veranstaltung sollte aufzeigen, wie sich Kommunen entwickeln können, auch ohne kostbare Flächen für Neubau– und Gewerbegebiete auszuweisen.

 

Beatrix Drago wies in ihrem Vortrag „Grün und günstig reicht  nicht – Vitale Städte und Gemeinden durch Innenentwicklung!“darauf hin, dass immer mehr  Kommunen haben nicht nur mit rückläufigen Einwohnerzahlen zu kämpfen haben, sondern mit einem deutlichen Rückgang an Nahversorgungseinrichtungen - und das betreffe auch Städte und Gemeinden mit noch stabilen und steigenden Bevölkerungszahlen. Die Werbung um junge Familien und Betriebe mit günstigem Bauland in idyllischer grüner Umgebung erscheine vielen Kommunen als Lösung, werde aber stattdessen immer öfter zum ruinösen und  flächenverbrauchenden Wettbewerb der Städte und Gemeinden untereinander. Anhand von Praxisbeispielen zeigte Beatrix Drago, wie eine bauliche, funktionale und soziale  Innenentwicklung zum Standortfaktor werden und wie man wichtige ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Impulse für attraktive und vitale Orte setzen könne.   

Daniel Fuhrhop, Autor der Streitschrift „Verbietet  das Bauen!“ und des Buches Willkommens-
stadt – Wo Flüchtlinge wohnen und  Städte lebendig werden“  gab hierzu einen spannenden Impuls und lieferte ebenso Stoff für eine angeregte Diskussion wie Beatrix Drago, Sachgebietsleiterin für Dorferneuerung und Ländliche Entwicklung bei der Bayerischen Verwaltung für Ländliche Entwicklung.

Nach den Vorträgen entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, in der mehrfach die Forderung an die Politik, mehr für die Innenentwicklung zu tun, laut wurde, da die finanziellen Spielräume vieler Kommunen für kommunale begrenzt seien.

Zusammenfassung des Vortrages Verbietet das Bauen! von Daniel Fuhrhop

Dass wir neu bauen müssten, erscheint vielen als selbstverständlich – mehr noch, es wird zum Dogma. Gerade in boomenden Städten wird oft nicht mehr gefragt, ob es auch anders ginge. Und in schrumpfenden Regionen wird trotzdem neu gebaut, obwohl gerade da Neubau hart mit Altbau konkurriert. Wie es anders geht, untersucht das Buch „Verbietet das Bauen!“ mit „Fünfzig Werkzeugen, die Neubau überflüssig machen“, von denen der Vortrag einige vorstellte. Zudem diskutierte er die Einbindung dieser Werkzeuge in eine neue Innenentwicklung.  

Was gegen Neubau spricht

Bevor es um andere Möglichkeiten geht, vorab Argumente gegen Neubau, um zu begründen, warum wir nach anderen Wegen suchen sollten. So ist neu bauen unökologisch, denn es trägt zur Versiegelung von 70 Hektar am Tag bei und zerstört Äcker und Wiesen. Das gilt vor den Städten, wenn durch Zersiedelung des Umlands Wege länger werden, aber auch in den Städten, wenn Nachverdichtung wertvolle Freiflächen zerstört und Städte aufheizt. Bauen ist zudem teuer und darum nicht sozial; die günstigsten Mieten finden wir nur in Altbauten, die darum im Eigentum der Städte bleiben sollten. Außerdem ist Neubau nicht etwa rational oder ökonomisch, sondern volkswirtschaftlich geradezu verheerend, wie vor allem der Wohnungsbau deutlich macht: So änderte sich die Einwohnerzahl Deutschlands in den letzten zwei Jahrzehnten kaum, doch die Zahl der Wohnungen stieg von 35 auf 41 Millionen. Es wurden also 6 Millionen Wohnungen vor allem deswegen neu gebaut, weil wir auf mehr Fläche wohnen. Darum lohnt es sich, über Alternativen zum Neubau nachzudenken.

Flächenlimits und eine neue Innenentwicklung

Möglicherweise wird der Flächenverbrauch zukünftig von oben begrenzt. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung schlug 2016 in seinem Umweltgutachten vor, den Flächenverbrauch bis 2030 auf Netto-Null zu begrenzen; es dürfte also höchstens dann noch neu versiegelt werden, wenn anderswo entsiegelt wird. Von den heute 70 Hektar am Tag würde der Flächenverbrauch schrittweise bis 2030 auf Netto-Null begrenzt, so dass eine Gesamtmenge berechnet wird, die noch verbraucht werden darf. Diese Gesamtmenge würde vom Bund auf die Länder verteilt und von diesen wiederum bis auf einzelne Regionen und Kommunen heruntergerechnet. Es ginge also nicht um ein unverbindliches Flächenziel wie aktuell, wo es heißt, es sollten nur noch 30 Hektar am Tag verbraucht werden – sondern der Sachverständigenrat schlägt nicht verhandelbare Obergrenzen für Flächenverbrauch vor. Um diese zu erreichen, heißt es weiter, sollten Kommunen zwingend Innentwicklung betreiben. Hier stellt sich nun die Frage, was unter dem Begriff „Innentwicklung“ zu verstehen ist. Bislang meint man damit meist die Erfassung von Baulücken und Brachen oder des Leerstands. Schon bei diesen Punkten kann man manches verbessern, doch darüber hinaus präsentiert das Buch „Verbietet das Bauen!“ weiterreichende Werkzeuge, um Häuser besser zu nutzen und Neubau überflüssig zu machen – und der Vorschlag lautet nun, manche von diesen in eine zwingend vorgeschriebene Innenentwicklung zu integrieren. Dabei sei angemerkt, dass der Bund dann aber auch den Kommunen das nötige Geld und Personal bereitstellen sollte, um die Werkzeuge umzusetzen.  

Werkzeuge, um Häuser besser zu nutzen

Die 50 Werkzeuge, die Neubau überflüssig machen, reichen von pauschalem Umdenken mit einer größeren Wertschätzung des Gebauten bis zu pragmatischen Beispielen, die bereits erprobt sind, und die wir nur öfter umsetzen sollten: Es geht um die Verhinderung von Abriss und die Beseitigung von Leerstand, Umbauen, Umnutzen, Umdeuten, die Förderung von Umzügen lokal und regional sowie andere Formen des Zusammenwohnens. Nachfolgend einige Beispiele.  

Tendenziell schon jetzt als Teil der Innenentwicklung betrachtet man Wege, den Leerstand zu beseitigen. Das beginnt mit dessen Erfassung:  

• Leerstand erfassen

Um Leerstand zu vermeiden, sollten wir mindestens wissen, was leersteht – doch in Deutschland kennen nur ein Achtel der Kommunen ihren Leerstand, ein Viertel kennt zumindest einen Teil davon (etwa die Ladenlokale), Zweidrittel aber wissen nicht, wo etwas leersteht. Kommunen sollten daher Kataster erstellen und den sichtbaren Leerstand erfassen.  Entsprechend dem Vorschlag des Sachverständigenrates müssten Kommunen solche Kataster aufstellen, bevor sie überhaupt eine Chance erhalten, neue Baugebiete auszuweisen und den ihnen noch erlaubten Anteil am Flächenverbrauch auszunutzen. Darüber hinaus könnte man sich aber auch folgendes Angebot vorstellen:  

• Jung kauft Alt

Im ostwestfälischen Hiddenhausen gibt die Kommune Käufern einen Zuschuss, wenn sie ein lange leerstehendes Haus erwerben und selbst dort einziehen. Zuerst gibt es einen Zuschuss für ein Gutachten zum Bauzustand, danach sechs Jahre lang Geld, und zwar bei Kinderreichen am meisten. Inzwischen musste die einst schrumpfende Kommune zwei Kitas neu eröffnen. Und schon 50 weitere Gemeinden haben das Modell nachgemacht.  Neben dem sichtbaren gibt es auch einen „unsichtbaren“ Leerstand in Form von ungenutzten oder wenig genutzten Räumen und Häusern. Zum Beispiel wohnen viele ältere Menschen allein im Einfamilienhaus. Um welche es geht, lässt sich mit dem nächsten Werkzeug erfassen:  

• Leerstand von morgen kennen

Das niedersächsische Baulücken- und Leerstandskataster stellt bereits über 200 Kommunen eine Software zur Verfügung, mit der in Karten die Einwohnerdaten vermerkt sind. Wenn es keine Einwohnerdaten gibt, handelt es sich vermutlich um Leerstand, und das können die Kommunen in den Karten gegebenenfalls korrigieren. Zusätzlich aber ist in den Karten die Altersstruktur enthalten. Die Gemeinden können also sehen, in welchen Häusern die Menschen über 70 sind und in welchen über 85.  Der Vorschlag lautet nun, dass die Kommunen durch Wohnraumagenturen die ältesten Einwohner ansprechen, ihre Wünsche und Pläne erfragen und ihnen Vorschläge machen. Wohlgemerkt handelt es sich um Angebote und es soll niemand gezwungen werden, mit Wohnraum anders umzugehen. Ansprechen aber könnte die Kommunen auch alle, die allein auf sechs oder mehr Räumen leben. Folgende Angebote werden bereits in manchen Orten gemacht:  

• Wohnen für Hilfe

Viele ältere Menschen leben allein in großen Wohnungen. Mancherorts vermitteln Studentenwerke ihnen junge Untermieter, die nicht nur dort wohnen, sondern auch helfen, zum Beispiel beim Einkaufen; im Gegenzug zahlen sie weniger Miete. Dieses „Wohnen für Hilfe“ funktioniert bereits seit Jahrzehnten und es gibt es momentan an 36 Orten. Darum sollten wir es auf alle Hochschulstandorte ausweiten – und über die Hochschulen hinaus auch auf Auszubildende und auf alle anderen, die sich solche Wohnpartnerschaften vorstellen können.  

• Einliegerwohnungen fördern

In vielen Einfamilienhäusern wohnt nur noch einer allein, weil die Kinder auszogen und der Partner starb. Manche Kommunen fördern es bereits, wenn jemand einige Räume abtrennt und daraus eine eigene Wohnung macht mit eigener Tür, Bad und Küche. Oder sie fördern zumindest eine Beratung durch Planer, die klären, ob sich Einliegerwohnungen machen lassen.  

• Umzugsprämie & Umzugsberatung

Wenn ein Bewohner in eine kleinere Wohnung zieht und 40 Quadratmeter freiwerden, müssen die nicht neu gebaut werden. Das sollte zumindest dann gelingen, wenn es sich um den gleichen Vermieter handelt, etwa große Wohnungsgesellschaften. Manche von ihnen beraten bereits ihre Mieter und fördern Wohnungstausch. Das könnte eine Kommune unterstützen.  Auch die Werkzeuge, um Umzüge zu fördern, Einliegerwohnungen und Untermiete, könnten Teil einer neuen Innenentwicklung werden.  Mithilfe dieser und aller insgesamt 50 Werkzeuge des Buches, die Neubau überflüssig machen, können wir alle Bedürfnisse erfüllen – und müssten weder über Neubau noch über ein Bauverbot diskutieren. Ein Programm des Umbaus, der Umnutzung und der Umzüge ist im Detail nicht einfach, aber auch neu zu bauen ist nie so einfach, wie es anfangs scheint.   

Mehr Informationen zu Daniel Fuhrhop :

  • Daniel Fuhrhop, „Verbietet das Bauen!“, oekom Verlag 192 Seiten, 18,40 € ISBN-13: 978-3-86581-733-4  
  • Daniel Fuhrhop, „Willkommensstadt – wo Flüchtlinge wohnen und Städte lebendig werden“, oekom Verlag. 224 Seiten, 18,50 € ISBN-13: 978-3-86581-812-6  
  • www.verbietet-das-bauen.de, www.willkommensstadt.de, www.daniel-fuhrhop.de

 

 

  

 

 

 

 

Seitenanfang